Für die Veranstaltung essen & denken II (Baustelle? Die Lust am Provisorischen) im Kunstverein Hannover, Februar 2002, kochte Froelich unter Mitarbeit einiger Studierender des Fachbereiches Bildende Kunst der FH Hannover vier Speisen zum Thema Gemengsel und Gehäcksel. (Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile).

Essen und Denken?
Eine Veranstaltung unter dem Motto „essen & denken“ evoziert ein vielversprechendes Bild. Ein Gastmahl antiken Vorbildes mag einem dabei in den Sinn kommen, oder etwas, was an die Programmatik des bürgerlichen Salons erinnert. Auf jeden Fall wird es sich um etwas anderes handeln, als die profane Nahrungsaufnahme, die wir tagtäglich praktizieren (müssen).
Ein Philosoph und Dramaturg, ein Schriftsteller, ein Bildhauer werden, moderiert von einem Journalisten, zum Thema „Baustelle? Die Lust am Provisorischen“ denken und reden.
Von den Speisen darf Besonderes erwartet werden, da sie von einem Plastiker bereitet sind, der Kochen als Kunstgattung versteht. Diskurs und Erkenntnis sind also versprochen.

„Think differently – eat together“, lautet der Untertitel der Veranstaltung. Übersehen wir den unsinnigen Anglizismus, so scheint es auf den ersten Blick einleuchtend, daß gemeinsames Essen unterschiedliche Meinungen, wenn nicht nivellieren, so doch versöhnen könnte. Wir mögen zwar über dies oder das anderer Meinung sein, aber trotzdem können wir gemeinsam essen, sitzen doch eigentlich im gleichen Boot, beziehungsweise am gleichen Tisch. Entscheidend ist aber, was denn auf diesen Tisch kommt. Was ist eigentlich schwerer zu verdauen, fremde Gedanken oder ungewohnte Nahrung?


Lust am Provisorium
Was mag lustvoll sein, an einem vorläufigen, behelfsmäßigen, vorübergehenden Zustand? Vielleicht das damit verbundene Gefühl von Offenheit und möglicher Veränderung.
Im Provisorischen müssen wir uns nicht festlegen. Es herrscht Unverbindlichkeit, Bewegung und Kreativität. Alles fließt und ist in Bewegung. Das scheint gerade recht für eine Welt, in der wir uns auf nichts mehr verlassen können sollen und in der Flexibilität zur Voraussetzung des Bestehens in allen Lebensbereiche geworden ist.

Kochen allerdings ist, wie jede gestalterische Handlung, nicht ohne Verbindlichkeit zu denken. Dieser Umstand bedeutet aber nicht Einschränkung, sondern ist als Freiheit zu verstehen. Es wird ein verbindliches, wenn auch, im Hinblick auf die heutige Speisenfolge, fragmentarisches Bild entworfen.
Im Gegensatz zum Provisorium verweist das Fragment nämlich auf ein entweder verlorengegangenes oder noch nicht realisiertes Ganzes. Es trägt also ein utopisches Moment in sich und beruft sich somit auf eine Einheit und auf eine Idee. Es beinhaltet also Verbindlichkeit. (Nach KLUGE entstammt Provisorium von frz. provisoire, das eigentlich „Sorge tragen“ bedeuten müßte, aber das zusätzliche Merkmal „vorläufig“ bekam.)
In diesem Sinne sind die servierten Speisen mitnichten Provisorien, sondern Fragmente und wollte man es denkend ganz genau nehmen, sogar Metafragmente.
Zum Einen sind sie, jede für sich betrachtet, ein Ganzes aus einer Summe von Teilen. Andererseits existieren sie als Fragment in Hinblick auf ein vollständiges Gericht oder sogar Menü.
Das mag sich komplizierter denken, als es ist: Zur Suppe fehlte das Brot, mag man meinen und die Sülze wird meist mit Essig, Öl und Zwiebeln gedacht. Letztere mag man auch bei den marinierten Tiroler Knödeln vermissen. Und der Mandelsulz wird nur in den wenigsten Restaurants ohne ein Fruchtpüree oder irgendeine Soße serviert. In sich sind diese Speisen zwar konsistent, in Hinblick auf mögliche Bilder eines vollständigen Menüs aber, abhängig vom jeweiligen Bildbegriff, fragmentarisch.

Was wir als Speise und als Speisefolge gelten lassen oder als mangelhaft ansehen, resultiert aus persönlicher und kollektiver Erfahrung.
Bei aller Freude am Diskurs, dieses sei im Hinblick auf die redende und die schmeckende Zunge mit allem Nachdruck erwähnt, bedeutet, eine Speise für jemanden zu kochen, diesem Respekt und Liebe entgegen zu bringen, für ihn Sorge zu tragen.

Dieter Froelich
Hannover 2003

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